Studienfahrt der Gesellschaft für Christlich - Jüdische Zusammenarbeit nach Litauen im Herbst 2010

 

 

Still und nachdenklich kehrten 18 TeilnehmerInnen der" Gesellschaft für Christlich - Jüdische Zusammenarbeit in Lippe" am Donnerstag nach Ostern in ihre Heimatorte zurück. Vor unseren Augen hatten wir noch die Bilder der wunderbaren Städte Vilnius und Riga mit ihrer alten Kultur.

Daneben schieben sich allerdings Bilder des Schreckens.

Es sind Orte wie Paneriai oder das 9. Fort in Kaunas, an denen Tausende von Juden durch deutsche Besatzer und mit der Unterstützung williger einheimischer Helfershelfer erschossen wurden.

In unseren Ohren klingen noch immer die Lebensgeschichten, die Überlebende uns erzählt haben, so z. B. Fania Braucouskaja, eine 88jährige jüdische Partisanin, die uns mit Berichten in jiddischer Sprache durch das ehemalige Vilnaer Ghetto führte. Auch heute hat sie wieder mit antisemitischen Anfeindungen zu kämpfen. Bei einem Besuch in der Deutschen Botschaft erfuhren wir, dass Bundespräsident Horst Köhler sie durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, wozu er persönlich anreiste, unterstützt.

Auch Juliane Zarchis Geschichte haben wir noch im Ohr. Ihr Vater war zuletzt in Kaunas als jüdischer Journalist tätig und wurde von den Deutschen erschossen, wo, ist nicht bekannt. Ihre Mutter, eine gebürtige Düsseldorferin, denkt: Mir und dem Kind (Juliane) wird unter den Deutschen nichts passieren, ich komme ja aus Düsseldorf. Doch sie kann sich nur durch Verstecken retten. Ihr Kind, die dreijährige Juliane, kommt ins Ghetto, kann aber zum Glück herausgeschmuggelt werden. Nach dem Abzug der Deutschen kehrt die Rote Armee zurück und Mutter und Tochter werden wie etwa ein Viertel aller Litauer unter Stalin verschleppt, Juliane und ihre Mutter verschlägt es nach Tadschikistan. Sie kommen nach 16 Jahren zurück nach Kaunas. Noch heute sucht Juliane auf allen Fotos von erhängten oder erschossenen Juden nach dem Gesicht ihres Vaters, den sie kaum gekannt hat.

Im Tolerance Center in Vilnius zeigte uns der Leiter Markas Zingeris. ein in Litauen bekannter Schriftsteller, eine bewegende Ausstellung über Kinder im Ghetto. Diese Ausstellung, die u.a. auch mit finanzieller Unterstützung durch unsere "Gesellschaft" zustande kam, ist einer der bisher wenigen Versuche, die Erinnerung an die Vernichtung der Litauer Juden wach zu halten.

Aber nicht nur jüdisches Leben hat uns auf dieser Reise beschäftigt. Wir trafen uns auch mit Vertretern der Evangelisch Reformierten Minderheit in Litauen. Sowohl in Vilnius wie auch in Birzai, dem Zentrum der Reformierten im Norden, hörten wir von der Präsidentin der Synode und vom Generalsuperintendenten Rimas Mikolauskas, wie trotz aller Schwierigkeiten ein zartes Pflänzchen des Vertrauens zwischen jüdischen und reformierten Gemeinden wächst. Beide befinden sich in ähnlichen Minderheitspositionen.

So kam uns bei dem Besuch des großen, verfallenen jüdischen Friedhofs in Birzai die Idee eines Projekts: Ein Sommerlager 50+, wie wir es von "Aktion Sühnezeichen" kennen, um den jüdischen Friedhof vor dem Verfall zu retten. Dies könnte ein Gemeinschaftsprojekt der Lippischen Landeskirche und ihrer Partnerkirche in Litauen werden!

Erfreut waren wir auch über den spontanen Beschluss des Superintendenten Mikolauskas und seines Kirchenvorstands, je einen Sonntagsgottesdienst im Jahr den vergessenen jüdischen Geschwistern zu widmen.

Nicht zuletzt sei Pfarrer Erhard Mische aus Bremen gedankt. er ist Beauftragter des Reformierten Bundes für die kleine Litauische Reformierte Kirche. Er hat für uns das dichte Programm mit den vielen Begegnungen vorbereitet.

Am Ostersonntag erzählte er in einem zweistündigen Gottesdienst in der reformierten Kathedrale von Kedainiai eine Geschichte von Ignaz Bubis, die die Eindrücke dieser Reise gut zusammenfasst:

Nach dem Holocaust treffen sich überlebende Rabbiner und diskutieren die ganze Nacht die Frage: "Wie konnte Gott das zulassen?"

Sie kommen zu dem Ergebnis: " Es gibt keinen Gott."

Nach den langen Nachtstunden tritt schließlich einer der Teilnehmer ans Fenster und sieht die anbrechende Morgenröte. Da öffnet er das Fenster und sagt: "Lasst uns aufbrechen zum Morgengebet!"

 

Gertrud Wagner

2010 Ev. Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich - Jüdische Zusammenarbeit in Lippe

 

 

 

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